Posse um ein Plakat. Gedanken zur öffentlichen Nacktheit

„Ich war nicht wirklich nackt. Ich hatte nur keine Kleider an.“ (Josephine Baker)

Vor mittlerweile zwei Jahren zeigte das Deutsche Historische Museum in Zusammenarbeit mit dem Schwulen Museum* eine groß angelegte Schau zum Thema „Homosexualität_en“. Neben Berlin wurde die Ausstellung auch im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster gezeigt. Schon das Plakat provozierte Widerstand. Es zeigt den/die Künstler*in Heather Cassils während des Körpermodifikationsprojekts „Advertisment: Hommage to Benglis“ mit muskulösem nackten Oberkörper, feuerroten Lippen und Hodenschutz (siehe Cover des Ausstellungskatalogs).
Für Münsteraner Bahnhöfe zu „sexistisch“, befand die Deutsche Bahn, obwohl es im Berliner Verkehrsbetrieb keinerlei nachhaltige Störungen – verwirrte Zugführer, verstörte Fahrgäste – verursacht hatte. Nach Protesten seitens der Berliner Ausstellungsmacher*innen konnte dieser Anblick schließlich doch dem Münsterländer Publikum zugemutet werden.

Nacktheit und Sexismus

Nun sind ja weder halbnackte Männer noch Frauen im Bikini ein seltener Anblick auf Werbeplakaten im öffentlichen Raum. Im Fall des Homosexualität_en-Plakats war es wohl eher die Blöße eines uneindeutigen Körpers, die Widerstände hervorriefen. Denn – und das hat die Deutsche Bahn wohl gründlich missverstanden – es ist nicht die Nacktheit an sich, die unter Sexismus-Verdacht steht, sondern vielmehr ihre Instrumentalisierung im Sinne des Verkaufswertes. Die Erniedrigung gründet in der Verknüpfung von Produkt und Körper, dem Diktat eines marktwirtschaftlichen Blicks auf den – meist weiblichen – Körper. Denn Ambivalenzen oder Abweichungen von normativen Schönheitsidealen sind hier in der Regel nicht vorgesehen. Nun könnte man das als kleine Provinzposse abtun, als Ausdruck eines Spießertums, weit entfernt von der hauptstädtischen Souveränität im Umgang mit Personen des LGBTTIQ*-Spektrums. Doch auch Berlin ist mitnichten ein friedvolles Paradies fernab von heteronormativen (Lebens-) Standards, wie eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Tom Schreiber aufzeigte.  Prüderie und Engstirnigkeit macht nicht vor den Toren Berlins Halt. Sexismus natürlich auch nicht.

Über den Umgang mit sexistischer Werbung

Der Plan eines Verbots geschlechterdiskriminierender Werbung von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) aus dem Jahr 2016 ist von zahlreichen Medien stark kritisiert worden. Von „staatlich verordnete[r] Verklemmtheit“ oder einem vermeintlichen „Nannystaat“ (FDP-Chef Christian Lindner), der seine Bürger entmündige, war die Rede. Nun, der Gesetzesentwurf liegt weitgehend brach, es bleibt vorläufig nur die Möglichkeit einer offiziellen Beschwerde bei der Wettbewerbszentrale oder einer inoffiziellen bei der Organisation Pink Stinks mit der Option, diese an den Deutschen Werberat weiterzuleiten. Allerdings sind auf lokaler und regionaler Ebene durchaus Erfolge zu verbuchen. So verbot der Berliner Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg bereits zu Beginn des Jahres 2014 „sexistische Werbung“ auf fast 30 Werbeflächen und auch die aktuelle Berliner Landesregierung unterstützt ein Verbot sexistischer Außenwerbung.

Erotik und Sexismus

Die Gegner dieser Vorstöße werfen den Initiativen Lustfeindlichkeit, Puritanismus oder Verklemmtheit vor. Doch sie sitzen einer Verwechselung auf: Erotische Darstellungen sind nicht mit Sexismus gleichzusetzen. Und beide sind im Übrigen nicht zwingend auf Nacktheit angewiesen. Dass sich Sexismus nicht ausschließlich mit den unterschiedlichen Bekleidungsgraden der Models begründen lässt, zeigen die gesammelten Beispiele auf der Website von Pink Stinks eindrücklich. Neben den erwartbaren Brüsten und Ärschen im Breitbandformat sind es vor allem Slogans wie „Frischfleisch gesucht“ oder „Mit der Figur brauche ich kein Abitur“, die Frauen auf ihre körperliche Erscheinung reduzieren. Auch die angedeuteten Vergewaltigungs- und Dominanzposen von Dolce&Gabbana oder Sky Vodka finden sich hier wieder. Markenwerbung auf Stammtischniveau. Da lobe ich mir die anschließenden Shitstorms.

Sex Sells?

„Sex Sells“, diese oberste Maxime der Werbebranche wirkt mittlerweile altbacken und scheint allzu oft ein billiger Ersatz für kreative Kampagnen zu sein. Neueste Studien zweifeln zudem den Werbeeffekt von Nacktheit an – die Zeit der Mädchen in demütigenden Posen neigt sich offenbar einem Ende zu. Es besteht die Chance, in Zukunft interessantere Anzeigen zu sehen zu bekommen, die Kundinnen und Kunden in gleichem Maße ansprechen. Wie komplex die Darstellung des Körpers im öffentlichen Raum sein kann, zeigt die Diskussion um das Plakat zur „Homosexualität_en“-Ausstellung. Denn auch in der LGBTTIQ*-Szene war es wegen der physiognomischen Zweideutigkeit seines/seiner Protagonist*in umstritten. Auf der Fotografie der/des Künstler*in, die sich in einem Prozess der Transition befindet, sieht man Merkmale beider Geschlechter in einem Körper vereint. Inwieweit es Homosexualität – immerhin der Titel der Ausstellung – denn repräsentiere, wurde gefragt. Eine durchaus berechtigte Kritik. Nimmt man jedoch die Inhalte der Schau in den Blick, so setzte sie eben nicht nur mit homosexuellen Lebensweisen auseinander, sondern beinhaltete auch Themen wie Travestie, Transgender und Intersexualität. Unsere Körper in ihren individuellen Ausprägungen weichen gemeinhin vom Idealtypus, wie ihn die Werbung so häufig vorführt, ab, ganz unabhängig von unserer sexuellen Ausrichtung oder Identität. Heather Cassils verweist mit dem Plakat-Motiv auf einen umfangreichen Katalog von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen – ein Spiel, über das sich nachzudenken lohnt.