Sissy that Talk! Ein Plädoyer

„Gibt es denn Worte genug, um alle Mäuler damit zu stopfen?“ (Stanisław Jerzy Lec)

Wie klischeebehaftet das Sprechen über Homosexualität heute noch sein kann, zeigt ein kleines Buch exemplarisch auf. „Heteros fragen, Homos antworten“ – aus den Texten der gleichnamigen Kolumne des Tagesspiegels zusammengestellt, kann man hier „auf ganz konkrete Fragen ganz konkrete Antworten“ erhalten. Klassiker wie „Ist bei Homo- Paaren nicht trotzdem auch immer eine/r der Mann und eine/r die Frau?“ oder die Frage nach Ausgrenzung („Braucht ihr wirklich solche eigenen Vereine?“) über Handlungsanweisungen bei unerwünschten homosexuellen Flirtversuchen bis hin zu irritierten Reaktionen auf die angeblich so penetrante „Tuckigkeit“ von Schwulen sind hier zu finden. Eine Belehrung für Heteros, eine Handreichung für all diejenigen, denen ähnliche Fragen gestellt werden.

Von der Einsamkeit

Im Januar 2018 stellten zwei der vier Autor*innen der Kolumne, Nadine Lange und Tilmann Warnecke, ihr Buch in der Berliner Landeszentrale für politische Bildung vor. Beim vorwiegend homosexuellen Publikum trafen sie damit einen Nerv – den der Wiedererkennung. Man nickte sich wissend zu und flüsterte mit den Sitznachbar*innen über ähnliche Erlebnisse. Spannender noch als die Lesung selbst war die anschließende Diskussionsrunde. Mit Bedauern bemerkte ein Mann aus dem Publikum, dass er als Homosexueller, anders als das Buch suggeriere, rein gar nichts gefragt werde. Ihn und seinen Partner umgebe in heterosexuellen Kontexten – Arbeit und Familie – ein großes Schweigen, das offenbar von Unverständnis und falsch verstandener Toleranz herrühre. Zurück bleibe bei ihm ein Gefühl der Einsamkeit. Was er sich denn für Fragen wünsche, wollte eine Frau daraufhin wissen. Die nach dem Alltag mit seinem Partner, ihren gemeinsamen Wochenendunternehmungen, ihren Reisen, aber auch ihren Erfahrungen mit Diskriminierung, ihrem Coming-out, so die Antwort.

Zwischen Ignoranz und Neid

Ignoranz ist, im Gegensatz zu offen gezeigter Ablehnung, wohl die subtilere Form der Ausgrenzung. Anders als bei Beleidigungen lässt sie sich nicht beziffern, sie lässt sich nicht kontern, kann nicht angezeigt werden. In dieser Sprachlosigkeit setzen sich die Ressentiments aus den Zeiten staatlicher Repression fort. Dem vielzitierten Motto der zweiten Frauenbewegung, dass das Private politisch sei, liegt die Erkenntnis zugrunde, dass ein Rückzug in die Stille als Strategie gescheitert ist. Anpassung fördert nicht zwingend Akzeptanz, wie man bedauerlicherweise auch heute noch betonen muss. So meldete sich in der Diskussion ein circa 30-jähriger schwuler Mann zu Wort mit dem Wunsch, die Community solle doch – bei CSDs und anderswo – „normaler“, kurzum also etwas unauffälliger auftreten. Selbstzensur als Mittel der Wahl? Angesichts der anhaltenden verbalen Entgleisungen rechtspopulistischer Kreise und den erschreckenden Zahlen homophober Übergriffe scheint die Schutzfunktion eines diskreten Lebensstils fraglich. In diesem Demokratieverständnis spiegelt sich der neidvolle Blick mancher Homosexueller auf die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft und ihre Privilegien.

Sichtbarkeit als demokratisches Mittel

Nicht nur der Außenwirkung wegen, sondern vor allem für die LGBTTIQ*-Community sind CSDs eine Möglichkeit der Selbstversicherung und Entfaltung, hob dagegen Nadine Lange vom Tagesspiegel hervor. Dass die Fernsehanstalten bei vielen CSDs eher einseitig und vorzugsweise über bunte Transvestiten berichten und vor allem kaum Lesben zeigen, ist nur vordergründig mit den Schauwerten einer vermeintlich so „schrillen“ Minderheit zu begründen. Vielmehr zeigt es beispielhaft die reflexhaften Vorurteile der großen und kleinen Medienanstalten unseres Landes. Trotz jahrzehntelanger Kritik seitens aktivistischer Journalist*innen und in Zeiten von LSVD-Vertreter*innen in mehreren Fernsehräten ist der Unwille, dazuzulernen, leider immer noch weit verbreitet.

„Schrill“ und „pervers“: In diesen Begriffen vereinen sich alle homophoben Schreckgespenster. Von der ach so flamboyanten „Tucke“ hin zu der radikalfeministischen „Kampflesbe“, die jedem ihre sexuellen Gelüste aufdrängen und als Teil einer „Homo-Lobby“ den Staat in seinem vermeintlich natürlichen Kern, der Familie, bösartig unterwandern wollen – eine Folie für rechtspopulistische Untergangsfantasien. Diese Reduzierung der Komplexität hat etwas grundlegend Hysterisches. Anstatt die Vorurteile, wenn auch in abgemilderter Form, zu wiederholen, sollten wir den sichtbarsten Mitgliedern unserer Community den Rücken stärken und ihnen für ihren Mut Respekt zollen. Wir müssen noch viel lauter werden – Sissy that Talk!