Liebende Blicke? Zur Ausstellung „Lesbisches Sehen“

foto lesbisches sehen und sichtbarkeit

„Es ist eine Kunst, sie zu definieren.“ (Stanisław Jerzy Lec)

Museen geizen in der Regel nicht mit Superlativen, wenn es um die Bewerbung neuer Ausstellungen geht. Auf der Website des Schwulen Museums (SMU) wird die Ausstellung „Lesbisches Sehen“ als ein „Meilenstein“ gerühmt und in einer Reihe mit legendären Ausstellungsprojekten wie „Eldorado„, „Das verborgene Museum“ oder der „Great American Lesbian Art Show“ in Los Angeles 1980 gestellt. Zugleich soll die im Rahmen des „Jahres der Frau_en“ entwickelte Ausstellung laut Website des SMU nur ein „erste(r) Versuch“ sein, lesbisches Leben in seiner Vielfalt abzubilden.

Sehen und Sichtbarkeit

Sichtbarkeit ist die Grundbedingung aller Emanzipationsbewegungen. Trotz der aktuellen Diskussion um Ausschlüsse und Diskriminierungen innerhalb der lesbischen Community hat diese Prämisse nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Sehen heißt, das Innere im Äußeren (wieder-)zuerkennen und gleichzeitig, sich das Außen als etwas Neues anzueignen. Angesichts der mangelhaften Repräsentation lesbischer Lebensgeschichten,  Praktiken und Kunst in den Kulturinstitutionen unseres Landes ist diese Ausstellung also sehr zu begrüßen.

Ambivalenzen

Bei aller Sympathie für die Sache muss sich „Lesbisches Sehen“ an der Frage messen lassen, ob und wie sie die Erwartungen erfüllt, die in den dazugehörigen Publikationen (Ausstellungstext, Begleitheft, Pressemitteilung) geweckt werden. Zwischen maximalem Anspruch mit den entsprechenden historischen Verweisen und dem minimalen Anforderungen eines vermeintlich ersten Versuchs zeigt sich eine konzeptuelle Unstimmigkeit, die sich in der Ausstellung fortsetzt. Zwar betonen die Kurator*innen Birgit Bosold und Carina Klugbauer, dass auch sie nicht genau wissen, wonach sie suchen sollen. Ob nun die Selbstdefinition, die Inhalte, die Interpretation oder die sozialen Kontexte ein Werk als spezifisch „lesbisch“ definieren oder ob „queer“ vielleicht nicht doch der passendere, aktuellere Begriff sei.

Doch anstatt diese kritischen Aspekte in der Ausstellung abzubilden, zeigt das SMU ein Konglomerat von Werken, deren Urherber*innen zumindest lesbische „Phasen“ in ihrem Leben vermuten lassen. Bei einer Künstler*in wie Renée Sintenis jedenfalls dürfte dabei die Selbstdefinition nicht Grundlage gewesen sein: „Das L-Wort fällt nie.“, heißt es in einem Artikel der Siegessäule zu ihr. Man wünscht sich Erklärungen seitens der Kurator*innen, doch leider gehen die Informationen zu den einzelnen Arbeiten über die Nennung des Titels, des Namens der Künstler*in, des Materials und dem Entstehungsdatum nicht hinaus.

Zwischen Offenheit und Beliebigkeit

In einem kostenpflichtigen Beiheftchen zur Ausstellung werden die Biografien der Künstler*innen knapp aufgelistet. Entgegen der angekündigten Offenheit der Konzeption darf also eine biografische Lesart der Ausstellung vermutet werden –  um so mehr, als dass Inhalte, Kunstgattung oder Chronologie hierbei ganz offensichtlich keine Rolle gespielt haben. Abstrakte Werke (Ingrid Kerma) hängen neben üppigen weiblichen Tonfigurinen (Doli Hilbert), Videos von explodierenden Alpenveilchen (Susu Grunenberg) werden flankiert von drei aus der Wand ragenden Riesenzungen (Erika Stürmer), Zeichnungen aus dem lesbischen Nachtleben der 1920er Jahre (Lou Albert-Lazard) werden in der Nähe einer großen Videoinstallation (Kerstin Honeit) platziert. Korrespondenzen erscheinen hierbei fast willkürlich. Offenbar ist es nicht erwünscht, Verwandtschaften der Werke in Inhalt und Form aufzuzeigen. So wirkt die Ankündigung, eine „utopisch-melancholische Galerie“ (was auch immer damit gemeint ist) zu entwerfen, eher hilflos als durchdacht. Die Betrachter*innen ernst zu nehmen heißt, den Spielraum zwischen dem Kuratieren und der Interpretationsfreiheit sinnvoll zu nutzen. Auch eine Werkschau bedarf einer ihr zugrundeliegenden Idee; die Qualität der einzelnen Arbeiten gerät sonst allzu leicht aus dem Blick. Bei „Lesbisches Sehen“ haben es sich die Kurator*innen zu leicht gemacht. Das Thema verdient eine Ernsthaftigkeit und Sorgfalt, die das SMU bedauerlicherweise vermissen lässt.