„Hochzeitsträume“? Gedanken zur Ehe

„Jedes Experiment ist wertvoll, und was man auch gegen die Ehe sagen kann, sie ist sicher ein Experiment. “ (Oscar Wilde)

Rund ein Jahr nach der Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare wurde im Bundestag erneut über sie diskutiert: Mit einem Antrag zur Aufhebung des im letzten Jahr beschlossenen „Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ versuchte die AfD, das Parlament erneut in eine Grundsatzdebatte zu zwingen. In den großen überregionalen Medien war dieser populistische und noch dazu schlecht vorbereitete Schachzug nur eine Randnotiz. Welche Wirkmacht die Ehe nach wie vor hat, lässt sich dennoch gut an den Redebeiträgen ablesen.

Die Ehe sei auf dem „Altar der bunten Beliebigkeit“ geopfert worden, behauptete der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner. Erwartungsgemäß reagierten die Redner*innen aller anderen Fraktionen sichtlich genervt auf den Vorstoß der AfD und betonten einhellig den Gewinn, den die Eheöffnung sowohl für die Gesellschaft als Ganzes als auch für die vielen heiratswilligen homosexuellen Paare im Speziellen bedeutet. Von der Skepsis der CDU/CSU-Fraktion, die im letzten Jahr noch mehrheitlich gegen die Eheöffnung gestimmt hatten, war nun nichts mehr zu hören: Der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak gratulierte den circa 10.000 getrauten homosexuellen Paaren und lobte ausdrücklich, dass „diese Menschen zutiefst bürgerliche, zutiefst konservative Werte leben […].“ Weniger als Zeichen eines bestimmten Wertesystems, sondern vielmehr als Ausdruck von Liebe und Zugehörigkeit wollte Ulle Schauws vom Bündnis 90/Die Grünen die Ehe für alle verstanden wissen: „Der zentrale Begriff und das Phänomen, über das wir hier reden, ist: Glück.“

Zwischen Glück und konservativen Werten

Ein Vierteljahrhundert dauerte das Ringen der Aktivist*innen um die rechtliche Gleichstellung mit der heterosexuellen Zivilehe. Trotz des Makels der Stiefkind-Adoption bei lesbischen Paaren fällt die Bilanz auch in vielen Medien äußerst positiv aus. Noch immer berichten Lokalzeitungen von den ersten homosexuellen Eheschließungen vor Ort, inklusive Fotoreihen mit strahlenden Paaren­. Unwidersprochen bleibt die allgemeine Begeisterung jedoch auch in der Community nicht.

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Foto: Privat,                                  Street Art von NAFIR

Für Dirk Ludigs, einen bekannten Kolumnisten des queeren Magazins Siegessäule, ist das Jubiläum jedenfalls kein Grund zur Freude: „Überhaupt hat die Eheöffnung das Ziel eines modernen Familienrechts eher in weitere Ferne gerückt als uns näher gebracht.“ Weniger die Reform eines konservativen Lebensmodells, sondern vielmehr seine Manifestation sei die Ehe auch nach ihrer Loslösung von der Direktive der Heterosexualität.

Ist die Ehe überhaupt noch zeitgemäß? Andere Lebensgemeinschaften wie auch Familien mit alleinerziehendem Elternteil bleiben nach wie vor strukturell benachteiligt. Steuerliche Begünstigungen (z.B. Ehegattensplitting) festigen sexistische Rollenmuster und schaden damit den Karrieren, der Selbstverwirklichung von Frauen*. „Traditionell ist die Ehe in ihrem Kern als Ort patriarchaler Machtausübung angelegt. Durch die Trennung in eine private und eine öffentliche Sphäre werden machtungleiche Rollenzuschreibungen vorgenommen.“, hob Louisa Hattendorff, ehemalige Sprecherin der GRÜNEN JUGEND Berlin, in einem Artikel im Tagesspiegel hervor. Angesichts der zunehmenden Vielfalt an Lebens- und Liebesmodellen erscheint die Ehe als eine veraltete Institution mit dringendem Reformierungsbedarf. Es bleibt abzuwarten, ob die homosexuelle Ehe mit ihrer spezifischen Paardynamik hier langfristig Veränderungen bewirken kann.

Eine Geschichte der Gefühle

Früher markierte eine Vermählung die Schnittstelle zwischen zwei Lebensabschnitten, zwischen der Einbindung in die Ursprungsfamilie und der Gründung einer eigenen Familie, zwischen verbotenem und erwünschtem Sex, zwischen Jugend und einem verantwortungsbewussten Erwachsenenleben. Hat die Hochzeit diese Funktion des Übergangsrituals eingebüßt? Gemessen an dem Aufwand, mit dem sie heutzutage inszeniert und zelebriert wird, kann zumindest von einem Prestigeverlust kaum die Rede sein. „Träume sind immer auch emotionale Visionen der Zukunft“, ist in der Pressemitteilung zur aktuellen Sonderausstellung „Hochzeitsträume“ im Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin zu lesen. Ohne eine Geschichte der Gefühle ist das Phänomen Hochzeit kaum zu erklären. Denn die Liebesheirat als vergleichsweise junges Konzept der Partnerbindung beeinflusst ja nicht nur die Erwartungen und Hoffnungen, die mit der/dem Lebensgefährt*in verknüpft werden, sondern sie ist letztlich auch eine Grundvoraussetzung der „Ehe für alle“.

Der schönste Tag

Die persönliche Note – nirgends scheint sie wichtiger zu sein als bei der Hochzeit. Die Wahl der Kleidung, des Ortes, der Gäste und des religiösen oder weltlichen Ritus, all diesen Entscheidungen liegen oft lang gehegte Wünsche der Heiratswilligen zugrunde. Denn trotz der festgelegten Abfolge von Gesten, Sprechakten und Verhaltensweisen bietet das Hochzeitsritual einen großen individuellen Gestaltungsrahmen.

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Brautkrone „Schappel“
      Schwarzwald, Baden, 19. Jh.
 © Staatliche Museen zu Berlin,     Museum Europäischer Kulturen/ Christian Krug

Davon zeugen auch viele der im MEK gezeigten Objekte. Vom H&M-Hochzeitskleid bis hin zu einem gleichgeschlechtlichen LEGO®-Pärchen als Aufsatz für die Hochzeitstorte – sie alle erzählen ganz persönliche Geschichten. Auch wenn wir heute zwischen einer unüberschaubaren Fülle an Moden, Trends und Stilen Brautkleider und Anzüge auswählen können, ihre Symbolik bleibt ungebrochen. Und sie wird durch die diversen Fernsehformate, Hochzeitsblogs und Zeitschriften immer wieder reproduziert. Dabei bilden die Konventionen das Skelett eines Rituals, dessen Heteronormativität nur sehr langsam Risse bekommt. Gegenwärtig scheinen sich homosexuelle Paare bei der Gestaltung ihrer Hochzeit noch stark an heterosexuellen Normen zu orientieren – eigene Traditionen müssen wohl erst noch begründet werden. Ausgeträumt ist dieser Traum jedenfalls noch lange nicht.