Engagiert und kritisch: Seit vielen Jahren setzt sich Gabriele Bischoff für die Belange von Lesben* in NRW ein. Sie ist nicht nur langjährige Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in NRW e.V. (LAG Lesben), sondern auch stellvertretendes Mitglied im WDR-Rundfunkrat, Redakteurin bei der feministischen Zeitschrift „Wir Frauen“ und Mitbegründerin der ARCUS-Stiftung. Ein Gespräch über Krisen und Chancen.
Gabriele, du bist seit 20 Jahren Geschäftsführerin der LAG Lesben in NRW e.V. Wie hat sich deine Arbeit in den letzten Jahren verändert?
Die LAG Lesben gibt es seit 22 Jahren. Seit circa 5 Jahren merke ich, dass es nicht mehr so gut läuft. Zum einen kommen nicht mehr so viele Ehrenamtliche nach oder wollen sich nur für kurze Zeit engagieren. Zum anderen ist die Arbeit sehr komplex geworden. Wir bewegen uns im Spannungsfeld zwischen Ehrenamt und Politik, zwischen Menschenrechtsarbeit und Empowerment. Vernetzen und Austauschen allein reichen nicht aus, die LAG Lesben muss sich verändern! Denn die Vielfalt der Szene muss sich auch in den Verbänden widerspiegeln. Ich kann nicht sagen: „Kommt alle vorbei und macht bei uns mit.“ Das ist zu platt. Beispielsweise haben sich bisexuelle Frauen* und Trans*Personen mit der alten Satzung von 2004 nicht angesprochen gefühlt, sie musste geändert werden. Inzwischen haben wir eine neue Definition für den Begriff „Lesbe“ gefunden: Für uns sind Lesben* Personen, die sich als lesbisch verstehen, und/oder Frauen*, die Frauen* lieben und/oder begehren.
Die geplante Fusionierung der LAG Lesben mit dem Schwulen Netzwerk NRW e.V. ist erst vor kurzem am Widerstand des Schwulen Netzwerks gescheitert. Wie kam es dazu?
Ob die Verschmelzung gelingt oder scheitert, wissen wir nach der Mitgliederversammlung vom Schwulen Netzwerk Ende November. Bei der LAG Lesben und beim Schwulen Netzwerk gibt es Mitgliedsgruppen, die das für keine gute Idee halten. 2 Jahre lang haben wir in der LAG Lesben darüber harte Diskussionen geführt und auf dem Weg zur Verschmelzung auch Vorstandsmitglieder verloren. Und jetzt sagt das Schwule Netzwerk plötzlich: Nein, wir wollen doch nicht fusionieren. Sie hätten kein Vertrauen zu dem jetzigen neugewählten Vorstand der LAG Lesben. Es gibt also auf beiden Seiten Mitgliedsgruppen, die können visionär denken und dann gibt es eben solche, die in erster Linie den Status Quo erhalten wollen. An diesem Punkt befinden wir uns gerade.
Wie unterscheiden sich die Strukturen der LAG Lesben und des Schwulen Netzwerks?
Die Unterschiede sind gar nicht so groß, beide Verbände haben Mitgliedsgruppen und werden vom Land NRW gefördert. Allerdings hat die LAG Lesben die Projektarbeit in den Mittelpunkt gestellt, während das Schwule Netzwerk darauf geachtet hat, dass diese Arbeit auch bezahlt wird. So verfügt die LAG Lesben über ein Volumen von etwa 300.000 Euro ohne Verwaltungskraft, das Schwule Netzwerk dagegen über ein Volumen von circa 600.000 Euro und 1,5 Verwaltungskräften. Eine Idee hinter der Fusion war ja, sich diese Ressourcen zu teilen. Gemeinsam vertreten die LAG Lesben und das Schwule Netzwerk LSBTIQ* im WDR-Rundfunkrat und in der Landesmedienkommission, zusammen haben wir auch die ARCUS-Stiftung mitgegründet.
Momentan wird in der Community nicht nur um Ressourcen gestritten, sondern auch um die „richtige“ Form des Gedenkens an LSBTIQ*. Angesichts der Vielfalt unserer Geschichte: Woran sollte man deiner Meinung nach besonders erinnern?
Ich bin mit diesem Satz aufgewachsen: „Unter Hitler hätte man so etwas wie dich vergast.“ Seit 15 Jahren kämpfe ich für das DenkMal in Düsseldorf. Aber erst seit 3 Jahren werden wir von vielen Seiten unterstützt. Die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf ist ebenfalls auf unserer Seite. Wir wollen kein Denkmal, das nur an das Leiden im Kaiserreich, während der NS-Zeit und in der BRD erinnert – das wäre verkürzt. Wir wollen auch das Flirten, das Begehren, das „sich finden“ zeigen. Trotz der Verfolgungen und Diskriminierungen hatten Lesben und Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter* ja auch Spaß, hatten Orte, wo getanzt wurde. Ich fände es sehr schön, wenn solche Denkmäler zeigen würden, wie lebensfroh wir waren und sind.
In Berlin ist gerade das erste Wohnprojekt für ältere Lesben* gescheitert, das anvisierte Grundstück ging letztendlich an die Schwulenberatung. Wird über Altersarmut bei LSBTIQ* zu wenig gesprochen?
Altersarmut betrifft viele unsere Vorreiter*innen, die mit wenig Geld unsere Strukturen, aber auch Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen etc. aufgebaut haben. Viele dieser Frauen sind heute von Armut betroffen. In der schwulen Community zeigen sich noch heute die Folgen der AIDS-Krise, sie wurde wirklich im Mark erschüttert. Über die psychischen wie auch finanziellen Konsequenzen müssten wir alle mehr reden. Auch wir Lesben! Wir müssen erzählen, was das mit uns gemacht hat.
Du hast einmal gesagt, dass Queer der Punk des 21. Jahrhundert sei. Was genau bedeutet Queerness für dich?
Queerness ist für mich das in Frage stellen der binären Geschlechterordnung und der damit einhergehenden Rollenzuschreibungen. Ich kann keinen schwulen Mann ernstnehmen, der im Anzug vor mir steht, eindeutig männlich konnotiert ist und mir erklärt, er sei queer, wenn er nicht Kajal trägt oder die Fingernägel lackiert hat. Das ist zynisch, das ist mit klar. Aber jemand kann nicht einerseits sagen, er sei queer, identifiziert sich aber andererseits völlig mit der ihm zugeschriebenen Geschlechterrolle, fährt Frauen über den Mund, unterbricht sie, dominiert als Mann. Das ist nicht queer! Queer bedeutet, die eigene Rolle auch immer wieder zu hinterfragen. Was ich heute auf jeden Fall bemerke, sind stärkere Rollenzuschreibungen. Dagegen verwahren sich aber immer mehr Jugendliche. Vollkommen zurecht.
Wie kann man Queers, Trans* und Lesben wieder zusammenbringen?
Wir Lesben haben die Konflikte eindeutig unterschätzt. Schon während meines Studiums in den 1990ern sprachen wir über Judith Butler und das Konzept von Queerness. Für mich war Queerness etwas Wunderbares, etwas Öffnendes, etwas, das mit dem Feminismus gut zusammenpasst. Aber wir haben uns damals auch die Rosinen herausgepickt. Mittlerweile fragen sich viele der älteren Lesben und Schwulen: Wo bleiben wir mit unseren Bedürfnissen? Ich selbst sehe viele Möglichkeiten, wieder zusammenzufinden. Aber uns fehlen die Räume. Diese Räume müssen erst geschaffen werden. Gute Beispiele dafür sind Generationengespräche oder das Lesbian Take Over: Da treffen sich Jüngere und Ältere, sie quatschen, sie kickern miteinander und tauschen sich aus. Das sind informelle Orte, wo eine ganze Menge passiert. Damit weckt man auch politisches Interesse. Der Staat muss erkennen, dass er mit einer Förderung dieser Räume bürgerschaftliches Engagement unterstützen kann.
Politisches Engagement und persönliche Betroffenheit, wie geht das für dich zusammen?
Wir dürfen Emotionen haben, wir müssen sie haben, um etwas zu bewegen. Aber wenn es darauf ankommt, müssen wir politisch diskutieren. Wir müssen uns fragen, welche Möglichkeiten wir haben und immer wieder nach neuen Bündnispartner*innen suchen, auch außerhalb der Community. Das ist das Grundprinzip von Politik, von Gesellschaft: Kompromisse zu finden! Das ist so einfach, und doch so schwer. Eigentlich müsste es reichen, zu sagen: Alle Menschen sind gleich. Aber in unserer Gesellschaft reicht das leider nicht aus. Gegen den derzeitigen Rechtsruck hilft nur Aufklärung und Vernetzung. Und zum Glück wehren sich auch viele Menschen. Das gibt mir Hoffnung!