Der Coronavirus hat jetzt schon die LSBTIQ*-Community verändert. Clubs und Bars fürchten um ihre Existenz, Veranstaltungen und Demonstrationen werden abgesagt, Beratungsangebote stark reduziert. Ein Telefoninterview mit Gabriele Michalak, Diplompädagog*in und Koordinator*in des Arbeitsbereichs „Lesben* mit Behinderung“ bei RuT Rad und Tat e.V.– Offene Initiative lesbischer Frauen über die lesbische* Community in Zeiten der Corona-Pandemie.
Gabriele, du hast die Nachbarschaftshilfe „Zusammen schaffen wir das!“ aufgebaut. Was ist das und an wen richtet sich das Angebot?
Ich habe mich gefragt, wie alleinstehende Lesben*, ältere Lesben* oder Lesben* mit Behinderungen in der Zeit von Corona unterstützt werden können.
Mit der Unterstützung von Joanna Czapska, Ina Rosenthal und unserer Webmaster*in Konstanze Gerhard habe ich die Nachbarschaftshilfe entwickelt und am 26. März 2020 offiziell gestartet. Das Projekt ist ein Hilfsangebot von der L*-Community für die L*-Communities. Auf der Website von RuT kann sich jede*, die Hilfe benötigt oder anbieten möchte, auf einer Liste eintragen. Ob das nun die Erledigung von Einkäufen, ein Telefongespräch oder das Gassigehen mit dem Hund ist – wir bringen die Frauen* dann zusammen. Schon in den ersten Tagen haben sich viele Helfer*innen gemeldet. Das lässt wirklich hoffen! Wir überlegen gerade, wie wir die Hilfesuchenden jetzt noch besser erreichen können. Denn unsere Klientel im RuT ist ja meist älter, manche haben keinen PC und kein Smartphone zu Hause.
Was bedeutet die Corona-Pandemie für Lesben* mit Behinderungen?
Insgesamt ist das eine mittelschwere Katastrophe. Aber verallgemeinern lässt sich das nicht, denn DIE Lesbe* mit Behinderung gibt es natürlich nicht. Es kommt sehr auf den Grad und die Art der Behinderung an – ob die Person alleine lebt, welche Sozialkontakte sie pflegt, ob sie älter ist oder im Rollstuhl sitzt. Vielen Lesben* mit Behinderungen wird der Zugang zum Gesundheitswesen sowieso schon erschwert. Es fehlt an barrierefrei zugänglichen Arztpraxen und geschulten Ärzt*innen. Das ist gerade jetzt besonders schlimm. Zum Beispiel fällt bei einer meiner Klient*innen die dringend benötigte Reha aus, eine Physiotherapie wird natürlich auch nicht mehr angeboten. Zudem fehlt es an Schutzkleidung, Masken, Handschuhen usw. Viele haben Ängste. Deswegen wollen wir vom RuT auch alle Lesben* mit unseren Angeboten ansprechen. Denn die 30-jährige Frau*, die alleine lebt, benötigt eventuell auch Zuspruch.
Du leitest die Coming Out- Gruppe „40plus – für Frauen* mit und ohne Behinderung“ im RuT. Wie funktioniert ein Coming Out im Lockdown?
Für die Frauen*, die gerade im Coming Out sind, ist die Situation ein Härtefall. Denn sie können momentan keine Kontakte knüpfen und die Szene nicht kennenlernen. Manche leben noch mit einem Mann zusammen und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Deswegen bieten wir E-Mail-, Telefon- und Video Chat-Beratung über WhatsApp an. Diese Angebote sind gerade unglaublich wichtig.
Wie erlebst du die lesbische* Community in der Corona-Krise?
Wir müssen zwar alle Abstand halten und Körperkontakt vermeiden, aber viele achten mehr auf andere und melden sich häufiger bei ihren Freund*innen, Verwandten und Bekannten. Mein Eindruck ist, dass die Community enger zusammenrückt. Es ist nicht alles nur furchtbar, dazu darf man sich nicht hinreißen lassen. Ich bin selbst mehrfachbehindert. Am Anfang der Corona-Krise hatte auch ich Ängste, dass ich nicht mehr rauskomme und nicht mehr arbeiten kann. Stattdessen muss ich jetzt zum Telefonhörer greifen und Menschen zueinander bringen. Es ist schön, eine sinnvolle Aufgabe zu haben in diesen Zeiten.
Was wünschst du dir speziell von der L*-Community?
Für die lesbische*-Community und das RuT wünsche ich mir, dass noch mehr helfende Hände zusammenkommen und es einen regen Austausch in der Nachbarschaftshilfe gibt. Vor allem Lesben* mit Behinderungen sind in unserer Community ja sehr wenig sichtbar. Dabei ist gar nicht immer ein so großer Aufwand nötig, um inklusiv zu sein. Schon kleine Veränderungen können helfen. Menschen mit Behinderungen müssen sich oft in Eigeninitiative Informationen zusammensuchen und sich Unterstützung selbst organisieren. Das kostet viel Kraft. Die größte Aufgabe ist, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was die Betroffenen sich wünschen, was sie brauchen. Es fängt wirklich bei jeder* Einzelnen* an. Wir können viel voneinander lernen!