Museen – das sind die Eckpfeiler unseres kulturellen Bewusstseins, Orte der Selbstvergewisserung, Horte nationaler Schätze, Lehranstalten der Ästhetik. „Die Wechselbeziehung des Museums mit der Gesellschaft und die Förderung ihres Erbes sind unmittelbarer Bestandteil des Bildungsauftrages eines Museums.“, so steht es in dem von ICOM, dem Internationalen Museumsrat, herausgegebenen Leitfaden für Museumssammlungen. Doch der geübte Museumsbesucher weiß: Die Geschichte(n), die erzählt werden, die Künstler, die ausgestellt und gefördert werden, bilden die Lebensrealitäten und künstlerischen Positionen jenseits eines weißen, heteronormativen, in erster Linie maskulinen Mainstreams nur sehr selten ab.
Die Initiative
„Museen queeren“ ist daher nicht nur eine berechtigte Forderung, sondern sie ist bereits zu einer Initiative geworden. Erklärtes Ziel dieses Netzwerkes ist es, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt vor allem in den Berliner Museen sichtbar zu machen und in der Museumspraxis zu verankern. Sowohl Mitarbeiter*innen diverser Museen und Hochschulen als auch freiberufliche Kurator*innen bemühen sich dabei um die Sichtbarmachung queerer Themen in ihren jeweiligen Institutionen und bei ihren Arbeitgebern. Nicht nur im Rahmen von Sonderausstellungen, sondern vor allem auch in den Dauerausstellungen sei die Integration von LGBTTIQ* – Geschichte und Kultur wichtig. So lautete der Konsens der Podiumsdiskussion „Museen queeren! Strategien der Sichtbarmachung„, die Anfang Mai in der Berlinischen Galerie stattfand. Lela Lähnemann von der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung, Sandrine Micossé-Aikins des Projekts Diversity Arts Culture, Dr. Gorch Pieken, Kurator der Ausstellung ‘Gewalt und Geschlecht’ des Militärhistorischen Museums Dresden, der freie Kurator Ashkan Sephavand und Ellen Roters vom Jugend Museum Schöneberg diskutierten mit der Historikerin Katja Koblitz über die Möglichkeiten und die bestehenden Hindernisse, Museen zu „queeren“.
Aufgaben und Widerstände
Programm, Personal, Publikum – mit dieser Formel fasste Micossé-Aikins die vielfältigen Ziele und Bemühungen der Initiative zusammen. So genügt es eben nicht, nur die Sammlungsbestände nach Qbjekten „queeren“ Inhalts zu durchforsten oder vermehrt Werke von Künstler*innen mit LGBTTIQ*-Hintergrund auszustellen. Vielmehr bedarf es auch struktureller Veränderungen; momentan geht nämlich der Impuls von Einzelpersonen beziehungsweise Mitarbeiter*innen diverser Museen aus, kaum jedoch von den Institutionen selbst. Auch die Frage nach den Zielgruppen stellte sich in diesem Rahmen neu: Laut Sephavand dürfen Komplexität und Poesie in der Ausstellungspraxis nicht verloren gehen, auch wenn in der Folge nicht alle Besucher*innen Zugang zu den Werken finden.
Hingegen werden im Jugendmuseum bereits offene Ausstellungskonzepte erprobt, bei denen das Zielpublikum – Kinder und Jugendliche – das Gezeigte mitgestalten können. Diese Multiperspektivität zeichne das Museum der Zukunft aus, betonte Ellen Roters. Aufgrund der Tabuisierung von LGBTTIQ* und des langen Schweigens über Sexualität im Allgemeinen seien diese Geschichten schwer zu finden, hob Lähnemann hervor. Wie dies gelingen kann, zeigt die aktuelle Ausstellung „Gewalt und Geschlecht“ exemplarisch auf: Pieken, der nach den Kontroversen um die Ausstellung im Militärhistorischen Museum Dresden nun zum leitenden Kurator des Humboldt-Labors ernannt wurde, berichtete anschaulich von der aufklärerischen Arbeit, die gerade in Militärkreisen nötig sei. Bei vielen Soldaten werde die Information, dass Crossdresser*innen und auch Homosexuelle seit Jahrhunderten sowohl als Soldat*innen, als auch als Befehlshaber*innen gedient haben, als Provokation empfunden. Fazit des Abends: Es gibt noch viel zu tun, viel zu (er)streiten, viel zu diskutieren. Ein Anfang ist jedoch gemacht. Und wie gehen Berliner Museen heute schon mit dem Thema um?
Beispiel 1: Deutsches Historisches Museum
„Es soll zur kritischen Auseinandersetzung anregen, aber auch Verstehen ermöglichen und Identifikationsmöglichkeiten bieten.“, so der Wortlaut der endgültigen Konzeption der Sachverständigenkommission für ein Deutsches Historisches Museum (DHM) von 1987. Schon in seiner Gründungsphase betonte das DHM demnach die diskursive und identifikatorische Kraft von Geschichtsbildern und wollte eben nicht nur Informationen liefern, sondern auch zu einem „Ort der Besinnung“ werden. Dem Anspruch, eine Gesamtdarstellung deutscher Geschichte zu zeigen, kann selbst ein großes Museum mit zahlreichen Sonderausstellungen natürlich nicht gerecht werden. Bei einem Rundgang durch die Dauerausstellung im Rahmen des Queer History Month im Mai 2018 wird zudem klar: Von Ausgewogenheit kann keine Rede sein. Von der Ritterrüstung bis zum Porträt des preußischen Königs Friedrich II. (der Große) – überall wird Männlichkeit präsentiert, inszeniert und vorgeführt, ohne dass über diese Dominanz kritisch informiert wird. Dabei böten einige Exponate durchaus Anlass zur Diskussion über Geschlechterrollen und sexuelle Orientierung. Ob besagter Friedrich und sein Bruder Heinrich schwul waren, ob „Der Motorradfahrer“, ein Bild der lesbischen Künstlerin Lotte Laserstein, wirklich einen Mann zeigt oder welches Menschenbild der geschlechtslose gläserne Mensch vertritt, darüber ließe sich hervorragend streiten. Nur 3 von über 5000 Exponaten thematisieren Homosexualität, wie der Historiker Florian Wieler bei der Führung betont; Größen der Emanzipationsbewegung von LGBTTIQ* wie Magnus Hirschfeld werden komplett übergangen. Zudem werde im DHM nur äußerst bruchstückhaft Frauengeschichte abgebildet, so Wieler. Ein weiterer Besuch bestätigt diesen Eindruck: Trotz zahlreicher spannender Objekte erzählt das Museum Frauengeschichte wie die Geschichte einer Minderheit. Zwischen Hexe und Hausfrau finden noch ein paar Königinnen Platz, deren Schönheit wie z.B. bei Königin Luise von Preußen als einziger „Verdienst“ erwähnt wird. Konsequenterweise heißt es beim Thema „Arbeiterinnen in der DDR“ auf der Infotafel: „Frauen stehen ihren Mann“. Es ist zu hoffen, dass die laufende Bearbeitung der Dauerausstellung ein anderes, moderneres Bild zeichnen wird, denn dem selbst gestellten Anspruch einer repräsentativen Darstellung deutscher Geschichte wird dieses Konzept in keiner Weise gerecht.
Beispiel 2: Museum Europäischer Kulturen
Einen viel besseren Eindruck macht da das Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin-Dahlem: „Wir öffnen uns auch für jene kulturellen Gruppen, die bislang noch keine aktive Verortung in der Museumslandschaft gefunden haben.“, heißt es in seinem Leitbild. Dass das keineswegs nur leere Versprechungen sind, zeigt ein Ausstellungsrundgang mit der Museumsmitarbeiterin Jana Wittenzellner exemplarisch auf. Ob in der ständigen Ausstellung oder den beiden aktuellen Sonderausstellungen, queere Objekte und Themen sind überall präsent. In „100 Prozent Wolle“, in der die Kulturtechniken der Wollverarbeitung präsentiert werden, finden sich neben einer „Maske“ eines queerfeministischen Strickkollektivs und einem AIDS-Memorial Quilt (NAMES Projekt) aus den Niederlanden auch ein Stickbild, das kitschig-konservative Wanddekorationen parodiert: „Homo Sweet Homo“ ist da zu lesen. Das Porträt einer queeren Immigrant*in ist in „Ich habe mich nicht verabschiedet – Frauen im Exil“ zu sehen und in der Dauerausstellung lässt sich das wunderbar mehrdeutige und viel diskutierte Werk von Gerhard Goder „Conchita Wurst auf der Mondsichel“ bewundern.
Trotz der Präsenz queerer Sujets in der Ausstellungspraxis des MEK fehle jedoch ein theoretisches Fundament, sagt Wittenzellner. Sie schlägt vor, die Objekte bzw. Werke und Sammlungen nach bestimmten Kriterien zu befragen: Nach der Botschaft, den Beteiligten, den Inhalten, den Konnotationen und dem Kontext. Hier stehe man noch ganz am Anfang und müsse sich erst wissenschaftliche Kategorisierungen erarbeiten und Strategien der Sichtbarmachung entwickeln. Dennoch zeigt die beiläufige und doch augenfällige Integration queerer Kunst und Kulturprodukte im MEK das Potenzial queerer Themen in großen wie kleinen Museen auf. Die öffentlichen Darstellung von Historie, Kunst und Wissenschaft sollte der Vielfalt unserer Gesellschaft Rechnung tragen und endlich die vielen verschwiegenen, stigmatisierten und ungehörten Geschichten suchen, erforschen und erzählen, getreu dem Motto: Homo Sweet Homo!