Oh, eine Insel? Bemerkungen zur Konferenz „Time to React“

Berlin, Auswärtiges Amt. In die hohe Halle der Bibliothek hat die Hirschfeld-Eddy-Stiftung zur Konferenz „Time to React – Zivilgesellschaftliche Handlungsräume stärken“ geladen. Schrumpfender Raum? Das mag auf den ersten Blick paradox klingen, wird dem Thema „LGBTTIQ*-Rechte“ gerade durch die Auswahl des Veranstaltungsortes ein symbolischer Platz zugewiesen, den man sich offizieller kaum denken kann. Demgemäß findet man auf der Gästeliste hochrangige Vertreter aus Politik, aus verschiedenen Stiftungen und internationalen NGOs.

Nach der Begrüßung durch Axel Hochrein von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung und Michael Roth, dem Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, begann die Konferenz mit zwei Vorträgen über den „Closing Space“ und seine Charakteristika. Iva Dobichina von den Open Society Foundations und Matthew Hart als Vertreter des Global Philanthropy Project erläuterten die Grundlagen des „Closing Space“ und schilderten anhand von Beispielen die Konsequenzen einer bedrängten Zivilgesellschaft (siehe auch die Studie „The Perfect Storm“).

Wofür steht „Closing-“ bzw. „Shrinking Space“?

Dass in einer wachsenden Anzahl von Ländern die Ehe homosexuellen Paaren offen steht, erweckt allzu oft den Anschein einer zunehmenden weltweiten Toleranz. Doch diese positive Entwicklung täuscht darüber hinweg, dass in zahlreichen Staaten die Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Handels mehr und mehr eingeschränkt werden. „Shrinking Space“, im Deutschen nur unzureichend übersetzbar, bezeichnet also die Schrumpfung des Raumes, den Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen und ihre Organisationen, aber auch Journalist*innen und Wissenschafler*innen benötigen, um agieren zu können.

In dem Begriff „Closing Space“ deutet sich das Ende der Zivilgesellschaft bereits an; „No Space“ schließlich beschreibt die völlige Aufhebung der Freiheit des Einzelnen und nichtstaatlicher Initiativen. Der immer kleiner werdende Radius an Handlungsoptionen betrifft nicht nur strukturell die NGOs, etwa durch Beschränkungen der Registrierung, der Finanzierung oder der Kommunikation, sondern schränkt auch die Aktivist*innen in ihren persönlichen Freiheiten und ihrer Unversehrtheit ein. In einigen Staaten müssen sie um ihr Leben fürchten.

Erfahrungen von Aktivist*innen

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Foto: Privat

Nüchtern kommt der Titel des zweiten Panels daher – „Beispiele“. Doch dahinter verbergen sich Geschichten von außerordentlichem Mut und besonderer Kreativität. So schilderte die Generalsekretärin von Pan Africa ILGA, Monica Tabengwa, in einer Videobotschaft die Erfolge und Misserfolge bei den Registrierungsverfahren von Menschenrechtsgruppen in Botswana und in anderen afrikanischen Ländern. Sie erklärte einige der juristischen Winkelzüge, die nötig sind, um als anerkannte NGO überhaupt agieren zu können. Gulya Sultanowa vom Filmfestival Side by Side St. Petersburg betonte die integrative Kraft von Kultur – die bekannte Veranstaltungsreihe richtete sich nicht nur an die LGBTTIQ*-Community St. Petersburgs, sondern auch an interessierte heterosexuelle Besucher. Eindringlich skizzierte Sultanowa die Folgen von staatlichen Repressionen wie der Anti-NGO-Gesetzgebung und des gesetzlichen Verbots der „Propaganda von Homosexualität“ einerseits und dem zunehmenden Hass von Teilen der Bevölkerung andererseits. Hetzkampagnen, Brandanschläge und sogar öffentliche Aufrufe zum Mord sowie brutale Übergriffe auf Aktivist*innen nehmen zu und erschweren ihre Arbeit, ihr Leben in hohem Maße. In der Verleugnung der Schwulenverfolgung in Tschetschenien und dem nachfolgenden zynischen Gebaren russischer Regierungsvertreter zeigt sich eine grundlegende Missachtung humanitärer Standards. Ein positiver Umschwung ist, trotz des internationalen Drucks, nicht in Sicht. Rechte von Trans* nahm Julia Ehrt von der Organisation Transgender Europe (TGEU) in den Blick. Sie stellte das Dokumentationsprojekt „ProTrans: Documenting Violence against Trans People in Eastern Europe and Central Asia“ vor, dessen Ziel nicht nur die Auflistung von Gewalttaten gegen Trans* ist, sondern auch die Vernetzung der Zielgruppen vor Ort mithilfe diverser Partnerorganisationen. Die statistische Erfassung von Daten wie z.B. im Rahmen des „Trans Murder Monitoring (TMM)“ und deren Auswertung im „OSZE Hate Crime Report“ veranschaulicht die Dringlichkeit von Aufklärungskampagnen und konsequenter Strafverfolgung. Als letzte Sprecherin dieses Panels trat die erst vor kurzem aus der Haft entlassene Mitbegründerin von FARUG Uganda, Kasha Jacqueline Nabagesera, auf. Ihr Engagement für die LGBTTIQ*-Community in ihrem Heimatland und anderen afrikanischen Staaten zeugt von persönlicher Courage und großem organisatorischen Geschick. Allianzen mit anderen NGOs sind für sie existenziell wichtig und scheinen in einigen afrikanischen Ländern besser zu funktionieren als in Europa.

Regierungsorganisationen und Stiftungen

Von den geladenen Gästen verschiedener Regierungsinstitutionen und Stiftungen im 3. Panel war erwartungsgemäß nicht viel Neues zu hören. Bärbel Kofler, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, suchte und fand ein paar Worte zur Ehe für alle. Mit Blick auf die zum Teil bedrohliche Situation von Aktivist*innen im Ausland forderte Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung den Abbau bürokratischer Vorgaben bei der Finanzierung von ausländischen NGOs. Auch die Zusammenarbeit von NGOs mit unterschiedlichen Zielrichtungen sei zu fördern, was der Heinrich-Böll-Stiftung mit ihrem zivilgesellschaftlichen, aber auch umweltpolitischen Programm beispielhaft gelänge. Björn van Rozendaal, der Programmdirektor von ILGA-Europe, drängte angesichts des nachlassenden Engagements der USA auf die Unterstützung von NGOs durch die Staaten der EU. Sie müssten ihre finanzielle und politische Förderung für LGBTTIQ*-Organisationen nicht nur deutlich ausbauen, sondern mit einer breiten Öffentlichkeitsarbeit auch die lokalen Initiativen weiter stärken. Einen enttäuschenden Auftritt absolvierte Heike Kuhn, die Leiterin des Menschenrechtsreferat im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In offensichtlicher Unkenntnis der Thematik begeisterte sie sich für die „Agenda 2030“ der UN, mit deren Umsetzung dann eine volle Gleichberechtigung erreicht sei. Angesichts der Weltlage ein Beitrag von geradezu naivem Optimismus.

Bedrohte Freiheiten

Der Blick auf die außereuropäischen Kämpfe um Anerkennung und Freiheit verführt allzu leicht zu der Annahme, im „Westen“ könne man als Lesbe, Schwuler oder als Trans* weitgehend unbehelligt leben und habe zumindest annähernd die gleichen Rechte wie die Mehrheitsbevölkerung. Zwar mag das auf einige urbane Zentren durchaus zutreffen, aber Gleichberechtigung ist sehr viel mehr als das: Sie ist die juristische und exekutive Durchsetzung von Freiheit. Sie zeigt sich im alltäglichen Umgang mit Nachbarn, mit Freunden, mit der Familie, auf der Arbeit. Sie zeigt sich in der Partizipation von Minderheiten in öffentlichen Ämtern, in politischen Debatten, in den Medien. Deutschland und die europäischen Staaten sind mitnichten Inseln der Glückseligkeit für LGBTTIQ*. Auch hier arbeiten rechtsnationale Parteien in vielen Ländern am Rückbau bereits erkämpfter Rechte. Die Zivilgesellschaft – das sind wir alle! Um so bedauernswerter, dass sich die Konferenz vor allem an Vertreter*innen der Auswärtigen Politik, der Entwicklungszusammenarbeit, an Stiftungen und NGOs richtete und nur eine sehr begrenzte Anzahl an Teilnehmer*innen zuließ. Und auch der Zeitrahmen der Konferenz – Donnerstag von 14 bis 19 Uhr – schränkte die Teilhabe vieler werktätiger Interessierter ein. Immerhin wurde eine englisch-deutsche Simultanübersetzung bereitgestellt. Die NGOs, die in unserem Namen sprechen und sich für unsere Rechte einsetzen, sollten sich hier noch deutlicher positionieren.

Menschenrechte für alle!

Dass die LGBTTIQ*-Community dem Rest der Bevölkerung an Meinungsvielfalt in Nichts nachsteht, dürfte niemanden überraschen. Was uns über viele Parteigrenzen und persönliche Erfahrungen hinaus verbindet, ist die Geschichte unserer Emanzipation, unser (Selbst-) Bewusstseins als Minderheit. In der Geringschätzung der Opfer, der vielfach zerstörten Lebenswege, der Verhaftungen und der sozialen Ächtung verbirgt sich im Kern eine Demokratiegefährdung: Menschenrechte betreffen eben nicht nur Minderheiten. Wenn die Landtagsfraktion der Brandenburger AfD nur einen Tag nach der Konferenz im Auswärtigen Amt der Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule Belange (LKS) alle Gelder verweigern will, dann führt uns das vor Augen, wie gefährdet unser Raum nach wie vor ist. Auch wir leben auf einer kleinen Insel und das Wasser könnte bald wieder ansteigen. Wir brauchen einen inklusiven, wohlwollenden Blick für unsere demokratischen Mitstreiter, unsere Liebenden, unsere Alten und Teens, unsere Szenegänger und Intellektuellen. Schlummerland ist abgebrannt.