Schuld und Sühne: Zur Kritik des Hashtag-Feminismus

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„Solange Frauen Sklavinnen sind, werden Männer Schurken sein.“ (Elizabeth Cady Stanton)

Die Kluft zwischen juristischem und moralischem Urteil ist vor allem dann besonders tief, wenn es um Sexualstraftaten geht. Wenn der Körper des Opfers nicht ausreichend Zeugnis geben kann, seine Verletzungen nicht offensichtlich sind, dann hat nur die Aussage Bestand, aller (Re-) Traumatisierungen zum Trotz. Zwischen Beschuldigungen, Straftaten und Solidaritätsbekundungen bewegt sich auch der Diskurs um #MeToo. Über das Potenzial, aber auch über die Grenzen des sogenannten Hashtag-Feminismus wird derzeit viel diskutiert. „Ob Protestkommunikation tatsächlich politische Wirkung erzeugt, ist allerdings schwer empirisch nachzuweisen.“, betont die Politikwissenschaftlerin Sigrid Baringhorst in einem Interview mit der ZEIT.

NEIN!

„Nein heißt nein“ ist als Maxime in das neue Sexualstrafrecht eingeflossen – der Gesetzesänderung ging eine Social-Media-Kampagne mit dem entsprechenden Hashtag voraus, die pünktlich zum Weltfrauentag am 8. März 2016 lanciert wurde. In dem im November 2016 verabschiedeten „Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“ ist das Element der Gewalt nicht allein ausschlaggebend für den Tatbestand einer strafbaren sexuellen Handlung. Vielmehr reicht dazu die Missachtung des Willens der anderen Person aus. Prompt folgte eine mediale Welle der Verunsicherung. Und das zu Recht: Denn wie diese Prämisse im Einzelfall juristisch zu fassen ist, ist nach wie vor unklar. „[…] ein „Nein“ hinterlässt keine Spuren.“, schreibt die Journalistin Annika Leister in einem Artikel der Berliner Zeitung.

Auch eine der prominentesten Gegner*innen des Hashtag-Feminismus, die Philosophin Svenja Flaßpöhler, äußerte sich mehrfach zur Debatte um #neinheißtnein. Mit ihrer Streitschrift „Die potente Frau“ kritisiert sie die „bleibende Wirkmächtigkeit eines althergebrachten Frauenbildes, das sich allein über das Nein definiert“. Als Ausdruck einer rein passiven Selbstwahrnehmung schreibe die sexuelle Verweigerung patriarchale Zuschreibungen fort, so die Autorin. Was sie dabei außen vor lässt: Ein „Nein!“ setzt ein souveränes Körperempfinden und ein eigenständiges Begehren voraus. Es wird aus der Vielfalt der Sprechakte herausgelöst und auf seine pragmatische Funktion des Widerspruchs reduziert. Erst eine bewusste Ablehnung wird im juristischen Sinn strafrechtlich wirksam. Darin liegt, entgegen Flaßpöhlers Behauptung, keine erotische Ambivalenz mehr, kein „vielleicht doch“. Das „Nein“ hat alle Koketterie verloren; ein großes Verdienst auch des Hashtag-Feminismus.

Belästigung und Verführung

„Wer eine Welt ohne Belästigung will, will in letzter Konsequenz eine Welt ohne Verführung. Kein Mensch kann eine solche Welt ernsthaft wollen.“, konstatiert die Autorin. Auf den ersten Blick scheinen die Begriffe verwandt, denn bei beiden Handlungen – bei der Belästigung wie auch der Verführung – widersetzt sich der/die Begehrende dem Willen des/der Begehrten*. Im Straftatbestand der „sexuellen Belästigung“ ist das Machtgefälle festgeschrieben, es setzt also ein Ungleichgewicht beider Parteien notwendig voraus (Subjekt versus Objekt). Anders verhält es sich bei der Verführung: Den begehrten Menschen von sich zu überzeugen, kann nur gelingen, wenn die eingesetzten Mittel auf ein Subjekt zielen. Folgerichtig ist „Verführung“ auch nicht im Strafgesetzbuch zu finden. Schon 1994 wurde der Begriff im Strafgesetzbuch durch die Formulierung „sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ ersetzt; der Verführung sind Abhängigkeitsverhältnisse eben nicht zwingend eingeschrieben. Eine Welt ohne Belästigung wäre also keineswegs das Ende der Sinnlichkeit und Hingabe, wie Flaßpöhler befürchtet. Wir alle müssen lernen, die Nuancen zwischen Nötigung und gegenseitigem Begehren deutlicher zu differenzieren; wir müssen lernen, unter diesen Vorzeichen den Eros neu zu erkunden.

MeToo oder Not Me?

Neben aller berechtigter Kritik an den Weltkonzernen Facebook, Twitter und Co. bieten Social-Media-Plattformen vielen User*innen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen im besten Wortsinn schlagwortartig mitzuteilen. Dass diese subjektiv sind, ist zunächst eine denkbar banale Feststellung. Dennoch zeigt sich in dieser Subjektivität die Vielschichtigkeit des Diskurses: Nicht nur Straftaten werden hier geschildert, sondern auch der sehr weit verbreitete Alltagssexismus vermeintlich aufgeklärter Gesellschaften, die sich eine Gleichbehandlung der Geschlechter in die Gesetzbücher geschrieben haben. Im Fall von Harvey Weinstein bot die Vielzahl der auf Twitter geteilten Vorwürfe Anlass zu Ermittlungen; Kevin Spacey rettete die Verjährungsfrist zwar vor einem Gerichtsverfahren, nicht aber vor dem Ende seiner großen Karriere.

„Heute übernimmt die Funktion des Schandpfahls der Hashtag […] oder auch die sogenannte Verdachtsberichterstattung.“, so Svenja Flaßpöhler. Zu Recht kritisiert sie die Aussetzung der Unschuldsvermutung und die Zerstörung von Karrieren ohne rechtlich wirksamen Beweisgrund. In der Täter-Opfer-Dichotomie ist wenig Platz für Zwischentöne. Dass diese Logik nicht immer funktioniert, führt die Causa der Schauspielerin Asia Argento geradezu exemplarisch vor. Als eine der prominenten Stimmen von #MeToo steht sie nach den Missbrauchsvorwürfen eines jungen Schauspielers selbst im Kreuzfeuer der Kritik. Folgerichtig wird nun auch die von Frauen ausgeübte sexuelle Gewalt zunehmend zum Thema, unter dem eigenen Hashtag #shetoo.

Von der Unschärfe

Die Komplexität sozialer Missverhältnisse und Gewalterfahrungen in Twitter-Beiträgen von maximal 280 Zeichen zusammenzufassen, führt zwangsläufig zu Verkürzungen und Pauschalisierungen. Nur in Einzelfällen werden die Vorwürfe von den Strafverfolgungsbehörden einer Überprüfung unterzogen – meist dann, wenn Täter (und häufig auch Opfer) einen gewissen Prominentenstatus haben und sich die Vorwürfe häufen. „Es ist genau diese Unschärfe, die den Eindruck systematischer Unterdrückung erweckt und so eine althergebrachte Struktur weiter festschreibt, die da lautet: Männer beherrschen Frauen.“, so Flaßpöhler. Das Sprechen über die eigenen sexualisierten Gewalterfahrungen sei kein Akt der Selbstermächtigung, betont sie, sondern vielmehr die Manifestation eines schwachen, passiven Frauenbildes. Dabei können doch auch Feminist*innen zum Opfer werden. Hieße das nicht in der Konsequenz, dass sie sich über die ihnen zugefügten Verletzungen in der Öffentlichkeit in Schweigen hüllen sollten, um weiterhin glaubwürdig für eine Gleichbehandlung der Geschlechter streiten zu können?

Die von der Autorin beschriebene Viktimisierung von Frauen ist absolut, sie hat sich tief in das Bewusstsein der Frauen einschrieben und ist zum essentiellen Bestandteil ihrer Liebes- und Sexualbeziehungen geworden. Jedoch führen die Prozesse der Auseinandersetzung, der Bewältigung von erlebten Straftaten keineswegs gradlinig in die Passivität, wie die moderne Opferforschung zeigt. Flaßpöhler wiederholt hier die Unschärfe, die sie dem Hashtag-Feminismus vorwirft. Ein Paradox, dem sie durch das Konzept einer „potenten Frau“ entkommen will.

Potenz als Ausweg?

„Rechtlich ist das Patriarchat passé. Die potente Frau hat es auch psychisch überwunden. Scham und Gefallsucht hat sie abgestreift wie ein altes Kleid. Ihr Zugang zur Lust: unmittelbar.“, beschreibt Flaßpöhler ihre Idealvorstellung einer neuen, selbstbewussten Weiblichkeit.

Die Frau betrachte sich nicht mehr im Spiegel männlichen Begehrens und wende sich bewusst vom weiblichen Opfermythos ab. Als Konsequenz findet sie aus sich selbst in die Potenz. Aber was meint die Autorin mit dem Begriff „Potenz“ und vor allem: Welche Mittel, welche Geisteshaltung führen die Frauen von heute in die Selbstermächtigung im Sinne Flaßpöhlers? „Potent zu sein […] bedeutet, von der Möglichkeit in die Aktivität zu kommen […].“ Und diese Möglichkeiten würden Männer eben viel effektiver nutzen als Frauen.

In der Umdeutung des männlich konnotierten Begriffs der „Potenz“ liegt durchaus ein gewisser Reiz. Natürlich ist die Idee hinter der „potenten Frau“, einer Frau mit aktiven Sexualorganen, selbstbewusster Lust und einem starken Willen, ein altbekannter Topos des Feminismus. Doch sowohl die von Judith Bulter geprägte Gendertheorie als auch der Differenzfeminismus mit seinem Postulat einer grundlegenden Wesensungleichheit der Geschlechter würden als theoretisches Fundament einer Art „neuer“ Frauenbewegung nicht ausreichen, meint Flaßpöhler. Sie nennt ihren (vermeintlichen) Ausweg aus der Theorie-Misere „Experienzialismus“ oder den „Weg der leiblichen Erfahrung“. Dabei orientiert sie sich an der Philosophie der „Neuen Phänomenologie“. „Fest steht zumindest, dass es offensichtlich Erfahrungen gibt, die ein Mensch nie macht, wenn er einen Penis hat, und umgekehrt solche, die allein dem männlichen Leib vorbehalten sind.“ Hierbei soll der Leib, also die innere Selbstwahrnehmung des Menschen und seine subjektiven leiblichen Erfahrungen, Ausgangspunkt aller Betrachtungen werden. Die Exklusivität bestimmter leiblicher Erfahrungsräume ließen der Autorin zufolge letztlich auch eine Unterscheidung von Männlichkeit und Weiblichkeit zu. Ihr Fazit: „Die genannten Differenzen machen das direkte Gespräch, die konkrete Auseinandersetzung umso notwendiger.“ Dem Selbstanspruch von Flaßpöhlers Streitschrift, die Frau in die Potenz zu führen, genügt diese dürftige und nur auf wenigen Seiten ausgeführte Theorie des „3. Weges“ definitiv nicht.

#MeToo und die Kultur

Ob man nun den Hashtag-Feminismus wie Flaßpöhler ablehnt oder nicht – unbestritten sind seine medialen (Nach-) Wirkungen. Und fest steht auch: #MeToo und ähnliche Hashtags prägen nicht nur unseren Umgang mit Sprache, Geschlecht und Gewalt, sondern haben auch Eingang in unsere Kultur gefunden. Im Berliner Gorki-Theater hat es die MeToo-Debatte sogar auf die Bühne geschafft. Das Stück „Yes but No“ von der bekannten Regisseurin Yael Ronen thematisiert die Konflikte der Geschlechter auf die für Ronen typische dialogische Weise. In einem Kurzinterview zum Theaterstück auf Arte bilanziert sie: „Was dieses Erdbeben #MeToo gebracht hat, ist eine Möglichkeit, Dinge zu hinterfragen, die existierenden Muster zu beobachten und zu überprüfen, was wir daraus machen können.“ Und genau dieses Potenzial des Hashtag-Feminismus fehlt Flaßpöhlers „potenter Frau“.