Queere Vielfalt im Ethnologischen Museum Berlin?

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Ozeanien, Asien, Amerika, Afrika- ganze Kontinente und Zeitalter umfasst die Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin. „Neue Blicke auf die vergangenen und gegenwärtigen Kulturen“ verspricht ihre Website den Besucher*innen. Mit dem Umzug in das umstrittenen Humboldt-Forum 2020/21 wurden die Ausstellungen neu kuratiert. Indigene Menschen erzählen in zahlreichen Medienstationen und Installationen ihre Erfahrungen;  auch das Erbe des Kolonialismus in den eigenen Beständen und in seinen sozio-kulturellen Auswirkungen wird endlich sichtbarer. Bei dem Versuch, Vielfalt abzubilden, kommen queere Perspektiven jedoch nur am Rande vor.

Queere Blicke?

Wie ist das angesichts der Fülle an Objekten möglich? Aufschluss geben soll die Führung „Jenseits der Norm? Ein queerer Blick auf Geschlechter und Sexualitäten in der ethnologischen Sammlung“. Gleich zu Beginn wird klar: Ihre Konzeption wurde von Mitarbeitenden angestoßen und ausgeführt, ist also eine Initiative von den unteren Rängen des wissenschaftlichen Personals. Zwar ist das Ethnologische Museum Teil des Netzwerks Museen queeren!, aber bei der Themensetzung spielt das persönliche Engagement einzelner Mitarbeiter*innen eine zentrale Rolle. Zumindest lässt sich anhand der aktuellen Ausstellungen keinen Fokus auf diverse Geschlechtsidentitäten und Beziehungsmodelle ausmachen. Das verwundet auch deswegen, weil in den letzten Jahren zahlreiche Versuche unternommen wurden, die Queer Studies zu dekolonisieren und die Postkoloniale Theorie um queeren Perspektiven zu erweitern. An Anknüpfungspunkten mangelt es also keineswegs. Zumal das Ethnologische Museum auf seiner Website postuliert, „eine ernsthafte Dekolonisierung des Museums voranzutreiben“.

Männer mit Brüsten

Das Grundproblem dabei waren bereits die Sammler*innen, die sich die Strukturen des europäischen Kolonialismus zunutze machten, so der Museumsführer. Ihre gesellschaftliche Prägung durch die deutsche Kaiserzeit spiegelte sich in ihrem Blick auf nichteuropäische Kulturen. Ein Beispiel: Zwar ist die Existenz alternativer Geschlechter im Indigenen Nordamerika längst bekannt, aber im Ethologischen Museum findet sich kein einziger Gegenstand, anhand dessen man diese Geschichten erzählen könnte. Und auch von westlichen Besucher*innen zunächst als queer gelesene Objekte entsprechen dieser Erwartung oft nicht. Da können zeremonielle Männerstatuen weibliche Brüste haben und laszive Tänzerinnen einen Damenbart und Monobraue. Primärer und sekundäre Geschlechtsmerkmale haben auch symbolischen Charakter, sie sind nicht nur Indikatoren für eine spezifische geschlechtliche Ausprägung. Volle weibliche Brüste versinnbildlichen bei den Uli-Figuren aus Papua-Neuginea das nährende Prinzip des Herrschers oder der Ahnen, und auch der schwangere Bauch einer männlich zu lesenden Holzskulptur aus der Ausstellung „Afrikanische Plastik, 1922“ kann das Schöpferische des Menschen an sich darstellen.

Leerstellen

Wie sehr der Sammlungsbestand von männlichen Zuschreibungen geprägt war, verdeutlicht der Stuhl einer Würdenträgerin aus Buruku/Tansania. Von den deutschen Sammler*innen wurde er nämlich zu einem „Häuptlingsstuhl“ deklariert und damit die unbekannte Besitzerin unsichtbar gemacht. Als ein Opfer kolonialer Vorurteile ist er nun im Museum markiert- eine Skizze auf Vitrinenglas. Dieser Versuch, die Fehler und Lücken in der Sammlungshistorie auszustellen, gelingt beim Thema Queerness nicht. Die Kurator*innen haben nach dem Umzug der Sammlung aus dem beschaulichen Dahlem mitten ins Zentrum Berlins den Bestand durchaus um aktuelle Positionen erweitert. So performt Perjalanan Tubuh Jawa in einer Videoinstallation traditionell weibliche und männliche Rollen des jawanischen Tanzes; in einer Vitrine zur Ibn Rushd-Goethe Moschee liegt eine Regenbogenfahne aus, die sie zum CSD 2022 auf ihrem Wagen mitführten. Und doch sind das nachträgliche Ergänzungen, die das Kernproblem um so spürbarer machen: Dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt der ausgestellten Kulturen, aber auch die Debatten um Queerness im globalen Kontext im Ethnologischen Museum buchstäblich ein Nischenthema sind. Und damit wird auch die koloniale Vergangenheit der Sammlung weiter fortgeschrieben.