Dahingestellt. Über eine Intervention im Märkischen Museum

foto queere interventionen berlin

„Man kann es ja nicht allen Recht machen!“ Mit diesen Worten kommentierte ein führender Mitarbeiter der Stadtmuseum Berlin GmbH die kritische Bemerkung einer Besucherin des Märkischen Museums. Ein Team von jungen Volontär*innen hat dort ein Konzept entwickelt, dass die Dauerausstellung BerlinZEIT erweitern soll. Jedes Quartal des Jahres 2019 ist dabei einem Themenschwerpunkt gewidmet, der gemeinsam mit Berliner*innen erarbeitet wird. „Interessierte gesucht: Engagieren Sie sich!“ heißt es dementsprechend auf der Website des Projekts „PS:__“.

Teilhabe

„Geschichte kompakt“ steht im Untertitel von BerlinZEIT, und ein historischer Schnelldurchlauf ist es in der Tat: Von der Eiszeit bis heute, lautet das Motto der Ausstellung im Werbevideo. Einen derart immensen Zeitraum narrativ zu erfassen, scheint nahezu unmöglich. Und so entsteht der Eindruck, einer rasch zusammengefügten Schau zu folgen, die vor allem die Zeit bis zu ihrer Neugestaltung im Humboldt-Forum überbrücken soll. Natürlich kann ein Interventionsprojekt allein die gravierenden Lücken nicht füllen; es kann einer misslungenen Ausstellung nicht zu mehr Qualität verhelfen. Was aber zeigen nun die Interventionen?

Im Abschnitt „Berliner Blicke“, der Anfang des Jahres erarbeitet wurde, werden persönliche Geschichten und Objekte von Berliner*innen gezeigt. Ob ein Kaffeeservice aus Serbien oder eine Gegenüberstellung von Gastarbeiter*innen in der BRD und Vertragsarbeiter*innen in der DDR, die Stationen bieten den Betrachter*innen zahlreiche Anlässe, über die individuelle Wahrnehmung der Großstadt nachzudenken. Lisa Genzken, Lara Dämming, Andromachi Marinou-Strohm, Camilla Kinzonzi, Emine Elci und Erik Strohm gestalteten „ihre“ Interventionen mit Blick auf die Erfahrungen, die sie als Bürger*innen, als Aktivist*innen oder Künstler*innen in dieser Stadt gemacht haben.

Exklusivitäten

Um „Queeres Leben in Berlin“ geht es im zweiten Teil von „PS:__“. Diesmal hatte das Team des Märkischen Museums nur Mitglieder der Initiative „Museen queeren Berlin“ zur Mitarbeit eingeladen.

An der Gestaltung der Interventionen beteiligten sich ausschließlich weiße Cis-Personen, die zudem alle in Museen oder Archiven tätig sind. Bei den von ihnen entwickelten Ausstellungsstationen werden sie namentlich nicht aufgeführt. Warum die Initiator*innen hier von ihrer partizipativen Praxis abgewichen sind, ist unklar. Dem im Projekttext formulierten Selbstanspruch „ eines zeitgemäßen, vielstimmigen Stadtmuseums“ werden sie so jedenfalls nicht gerecht.

Die queeren Interventionen

Wo und auf welche Weise wurde nun die Dauerausstellung BerlinZEIT gequeert? Die Dynamik der langen Berliner LSBTTIQ*-Geschichte auf ein paar Infotafeln einzufangen, erscheint als eine ebenso undankbare wie schwierige Aufgabe.

In den Bestandskatalogen der Museen für Berliner Geschichte fehlt eine entsprechende Verschlagwortung, was die Suche nach historischen Dokumenten und Objekten erheblich erschwert. Objekte und Dokumente mit queeren Inhalten sind in den umfangreichen Datenbanken der Museen kaum auffindbar. Zum Beispiel das Plakat der legendären Eldorado-Ausstellung von 1984: Obwohl die Bestände des damalige Ausstellungsortes, des Berlin Museums, in die Sammlung des Märkischen Museums übergegangen sind, ist es dort nicht mehr vorhanden. Daher musste es für eine der Interventionen vom Schwulen Museum ausgeliehen werden. Einmal mehr zeigt sich die mangelnde Wertschätzung staatlicher Kulturinstitutionen für die Geschichte und Kultur von LSBTTIQ*.

Die erste queere Intervention ist dem Raum „1701 – Repräsentation“ zugeordnet, der sich dem Ausbau Berlins als Residenzstadt widmet. Gegenüber von zwei staatstragenden Bildnissen König Friedrichs I. wurde eine Infotafel mit Fotografien der Ausstellung „Eldorado“ und dem erwähnten Plakat angebracht. Der kurze Text stellt die wichtige Frage nach dem Verbleib der ehemaligen Ausstellungsobjekte und kritisiert den Mangel an musealer Sichtbarkeit einer der größten queeren Stadtbevölkerungen der Welt. Und doch stand „Eldorado“ am Beginn einer von Aktivist*innen getragenen Initiative der Historisierung, denn sie ist auch der Gründungsmoment des Schwulen Museums. Leider kommen diese gegensätzlichen Entwicklungen hierbei nicht zu Sprache.

Mit „1920 – Gestaltung“ ist der nächste Raum mit einer Intervention betitelt. Thematisiert wird hier vor allem die Entstehung von „Groß-Berlin“ durch die Eingemeindungen und das wachsende Verkehrsnetz zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Wie ein Fremdkörper wirkt dagegen die Vitrine zu der berühmten Kabarettistin und Sängerin Claire Waldoff, die viel besser in den kleinen abgetrennten Bereich zum Berliner Nachtleben in den 1920er Jahren im nachfolgenden Ausstellungsraum gepasst hätte. Die Intervention überschreibt den bereits bestehenden Ausstellungstext, der nicht nur Waldoffs Homosexualität unerwähnt lässt, sondern sie auch zum „Inbegriff der typischen Berlinerin“ erklärt. Eine erstaunliche Formulierung angesichts ihrer Auftritte im Herrenanzug, ihrer offen lesbischen Lebensweise und ihrer Herkunft aus dem Ruhrpott. Zudem wird in dem neu hinzugefügten Text ihre jahrzehntelange Liebesbeziehung zu Olga von Roeder erwähnt und dem Schallplattencover zu dem Lied „Warum soll er nicht mit ihr…?“ eine Schellackplatte mit dem Song über die bisexuelle „Hannelore“ beigefügt. Dieser Umformulierung liegt eine Strategie der Sichtbarmachung zugrunde, die für jedes Museum praktisch anwendbar wäre – nämlich die erklärenden Texte zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten.

Im Raum „1961 Teilung“/ „1989 Überwältigung“ findet sich die letzte queere Intervention. Zeitungsartikel des SED-Presseorgans „Neues Deutschland“ veranschaulichen die Diffamierungskampagne der DDR gegen das erste Todesopfer an der Berliner Mauer. Günter Litfin wird darin als „kriminelle Gestalt“ und „Homosexueller“ beschimpft. In dieser posthumen Herabwürdigung des Opfers zeichnet sich die offene Homophobie des ostdeutschen Staates in aller Deutlichkeit ab. Dennoch wäre eine Gegenüberstellung von ost- und westdeutschen Medien und ihrer jeweiligen Skandalisierung von Homosexualität viel interessanter gewesen, als zwei ähnlich lautende Artikel aus derselben Zeitschrift zu präsentieren.

Post Scriptum

Bilden die Interventionen des ersten Quartals „Berliner Blicke“ einen Kontrapunkt zu der in der BerlinZEIT dargestellten offiziellen Lesart der Stadthistorie, stört der zweite Teil zum queeren Leben diese nur marginal. Denn der professionelle Blick der beteiligten Fachleute vom Netzwerk „Museen queeren Berlin“ ergänzt die Ausstellung mehr, als dass er überrascht oder die vielschichtigen Aspekte des queeren Lebens aufzeigt. Zudem scheint ihr Auftritt als Kollektiv dem inhaltlichen Rahmen des Projektes entgegenzustehen: „Berlin hat viele Gesichter – sie sollen im Stadtmuseum Berlin sichtbar sein!“ Die queeren Communities von Berlin hätten sicher noch viele weitere interessante Perspektiven auf die Stadtgeschichte bieten können. Schade, dass dieses Potenzial nicht genutzt wurde.

PS Post Scriptum: Der Name des Projektes bringt die museale Strategie der Intervention auf den Punkt. Als Instrument, Diversität im Kleinen, im Detail abzubilden, erfreut es sich zunehmender Beliebtheit. Dabei wird das Narrativ der Dauerausstellungen in den großen Museen nur geringfügig gestört. Im günstigsten Fall verleihen Interventionen der offiziellen Lesart einer Ausstellung eine Nuance, eine Irritation. Sie eignen sich nicht, um den offiziellen Kanon und die hierarchischen Strukturen eines Museums wirkungsvoll zu hinterfragen. Nichtsdestotrotz schärfen sie das Bewusstsein für die vielen Erfahrungen und Erzählungen von Menschen, deren Zeitzeugenschaft auch heute noch von vielen als museumsunwürdig betrachtet wird. „Man kann es ja nicht allen Recht machen!“ wie es der Mitarbeiter des Stadtmuseums ausdrückte. Dem möchte man lautstark entgegnen, dass es die Aufgabe eines modernen Stadtmuseums sein sollte, möglichst viele Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Denn wir alle leben hier und wir alle sollten in den Museen repräsentiert sein!