These boots are made for walking. Über queere Mode und den Berliner Butch* Walk.

Queere Mode – das ist mehr als Lack und Leder. Bei der ersten Modenschau des Kollektivs 100prozentdivers in Berlin wird Butch*-Mode gefeiert und mit den vielen Klischees rund um das lesbische* Role Model gespielt. Ein Interview mit Carsta Köhler.

foto queere mode berlin carsta köhler
Carsta Köhler, Fotografie von Arno
Carsta, du arbeitest in der Kostümabteilung der Staatsoper und hast 100prozentdivers mitgegründet, eine Initiative, die sich mit queerer, nicht-binärer Mode beschäftigt. Wie bist du überhaupt zur Mode gekommen?

Ich war schon als Kind kreativ. Als Jugendliche haben mir dann meine Eltern einen Artikel über eine Modeschule in Halle gegeben mit den Worten „Das wäre doch etwas für dich!“. Das war eine kleine – und damals noch sehr bezahlbare- Modeschule. Dort habe ich tolle Leute kennengelernt und konnte meine Entwürfe zum ersten Mal öffentlich zeigen: Beim Wave Gothic Treffen in Leipzig haben meine Kommiliton*innen und ich eine kleine Modenschau organisiert. Dort habe ich auch die Dark Wave-Band Goethes Erben kennengelernt, für die ich seitdem Kostüme mache. Nach dem Abschluss in Halle habe ich an einer Modefachhochschule im Erzgebirge weiterstudiert. Eine wichtige Erfahrung! Denn ich konnte dort sehr frei und weniger industriebezogen lernen und arbeiten. Danach war ich zwei Jahre lang in der Kostümabteilung der Semperoper tätig. Für einen Job als Produktionsassistentin an der Berliner Staatsoper bin ich dann nach Berlin gezogen. Dabei wollte ich eigentlich nie in Berlin leben. (lacht)

Wie ist die Idee zum Butch* Walk entstanden?

Wir haben unser Kollektiv 100prozentdivers vor ungefähr anderthalb Jahren gegründet, als Til Fox und ich uns – coronabedingt via Skype- viel über genderneutrale Kleidung ausgetauscht haben. Schnell war klar, dass wir Events dazu entwickeln wollen. Ein Butch*-Themenabend von Pia Thilmann im SO36 war dann der Auslöser- die Idee des Butch* Walks war geboren. Wir haben dann direkt dort nachgefragt, ob wir eine queere Modenschau veranstalten können. So hat sich das nach und nach entwickelt. Aber wir können uns auch weitergehende Events wie eine Diskussionsrunde zum Thema queere Mode und vielleicht auch mal eine große Schau vorstellen. In der Idee steckt viel Potenzial.

Selbstinszenierung durch Mode spielt ja auch bei queeren Menschen eine große Rolle.

Ich höre oft: Mode geht mich nichts an. Aber das stimmt nicht. Denn wir alle tragen irgendetwas, das wir bewusst oder unbewusst aussuchen. Die meisten von uns haben einen Stil. Ich wünsche mir, dass Leute durch solche Events wie den Butch* Walk inspiriert werden, Sachen auszuprobieren und etwas mutiger zu werden. Sich mal wieder schön zu machen- schön als breiter Begriff- das macht etwas mit deinem Körpergefühl und deinem Selbstbewusstsein. Du trittst ganz anders auf.

Der Butch* Walk steht unter dem Motto „Anzug vs. Holzfällerhemd“. Warum steht bei euch die Butch* im Zentrum euerer ersten Modenschau?

Aus persönlichem Interesse- Frauen* im Anzug können sehr gut aussehen. Es soll ein Spiel sein mit den ganzen Schubladen und den vielen Klischees rund um lesbische* und queere Menschen. Eine Butch, das ist für mich eine sehr selbstbewusste Person mit einer gewissen Attitude: Sie strahlt Selbstbewusstsein, Stärke aus und fühlt sich in der eigenen Haut wohl. Im besten Fall ist sie auch gut gekleidet (lacht). Das Spiel zwischen Femininität und Maskulinität ist spannend und lässt sich gut erzählen. Wir wollen ja vor allem das Publikum unterhalten und gemeinsam Spaß haben.

Wie habt ihr die Mode-Labels für den Butch* Walk ausgesucht?

Derzeit haben wir sechs Labels für die Show gewinnen können. Es werden auch ein paar Teile meines eigenen Upcycling-Projektes „gewandkunst“ zu sehen sein. Ein Label für Butch*-Kleidung gibt es in Deutschland noch nicht. Bei der Auswahl war mir besonders wichtig, kleine regionale Labels anzusprechen. Die Pride-Kollektionen von großen Konzernen haben nichts mit dem zu tun, was ich wichtig finde. Kleidung wird immer noch extrem gegendert. Aber alle Menschen sollen das tragen dürfen, was sie möchten. Warum sollen Männer* keine Kleider tragen? Es wäre schön, nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, ob ein Kleidungsstück in die Damen- oder Herrenabteilung gehört. Da bewegt sich aber viel in Berlin. Gerade hatten wir eine tolle Anprobe in einem Second Hand-Laden. Beim Butch* Walk geht es nämlich auch um Styling und um den Blick in den eigenen Kleiderschrank.

Wie queer und divers ist eure Show aufgestellt?

Queere Mode ist oft sehr fancy, Bling Bling, Glitzer und tausend Harness-Varianten aus Kautschuk, aus Latex, aus Fahrradschläuchen etc. – das interessiert mich aber nicht besonders. Queere Mode heißt für mich, mit Erwartungen und Rollen zu spielen. Zum Beispiel haben wir auch zwei Labels dabei, die nicht von queeren Menschen geleitet werden. Sie entwerfen aber wirklich schöne und hochwertige Kleidung, die sie bislang in erster Linie für Männer* entwickelt haben. Sie steht aber auch Butches* ganz hervorragend. Unsere Show wird von vielen unterschiedlichen Menschen getragen, ganz besonders natürlich auch von den Models. Da sind wir sehr divers aufgestellt: Ihr werdet kleine, große, lesbische*, queere, nicht-binäre, Schwarze und trans Menschen auf dem Laufsteg zu sehen bekommen. Aber: Viele Labels bedienen leider nur Mustergrößen. Größere oder spezielle Größen produzieren ganz wenige Labels, viele kleine Labels trauen sich da nicht dran. Obwohl der Markt da ist! Mich nerven diese Standardgrößen. Es haben ja auch nicht alle Menschen Standardfiguren. Wir von 100prozentdivers wollen in Zukunft breiter suchen und uns nicht nur auf Berlin beschränken. Aber dafür hat dieses kleine Projekt derzeit nicht ausgereicht.

Spielt Nachhaltigkeit beim Butch* Walk überhaupt eine Rolle?

Ja! Wir haben doch eigentlich alle volle Kleiderschränke. Es ist wichtig, ein Bewusstsein für den eigenen Konsum zu haben. Deswegen wollen wir die Zuschauer*innen auch inspirieren, zu schauen, was sie in ihrem Schrank haben. Mal mit den vorhandenen Dingen zu experimentieren. Es ist wichtig, nicht einfach wahllos etwas zu konsumieren, sondern sich zu fragen, man wirklich braucht und was zurück in den Kreislauf gegeben werden kann. Oder eben Second Hand kaufen, da gibt es auch besondere Läden mit außergewöhnlichen Stücken.

Wirst du an dem Abend auch auftreten?

Nein, ich kleide die Models an und wirke im Hintergrund. Zum Schluss werde ich mich mal kurz auf dem Laufsteg sehen lassen. Tomaten dann auf mich!

BUTCH*WALK „Anzug vs. Holzfällerhemd“
Sonntag 21.08.22
Einlass: 18:00, Beginn: 19:00
SO36, Oranienstraße 190, 10999 Berlin

Das Interview führten Charlotte von Schuckmann und Dagmar Podzun.